A5: Faschismus mit sozialgerechter Wirtschaftspolitik bekämpfen

Achtung: dies ist eine alte Fassung; die aktuelle Fassung gibt es hier:
A5: Faschismus mit sozialgerechter Wirtschaftspolitik bekämpfen

Rahmendaten zum Antrag
Veranstaltung:	1. Landesmitgliederversammlung 2025, 22.-23.03.2025 in Flöha
Tagesordnungspunkt:	5. V-Anträge
Antragsteller*in:	Marlen Drechsler und Damian Koenig (KV Leipzig)
Status:	Angenommen
Antragshistorie:	Version 1(17.03.2025) Version 2(20.03.2025) Änderungen anzeigen Version 3(07.04.2025) Änderungen anzeigen Version 2

Antragstext

Seit 2017 liegt der Reallohnindex unterhalb des Verbraucherpreisindex. Die
Preise steigen schneller als die Löhne. Die Mieten in deutschen Großstädten
fressen das Einkommen auf. Seit dem Ausbruch des russischen Angriffskriegs in
der Ukraine und die daraus resultierenden Preisspitzen am Anfang der
Wertschöpfungskette ist sukzessive eine Verkäuferinflation ins Rollen geraten.
Diese hat dafür gesorgt, dass viele Produkte des alltäglichen Lebens spürbar
teurer geworden sind. Längst befindet sich Deutschland, wie viele Länder auf der
Welt, in einer Bezahlbarkeitskrise: Mieten, Lebensmittel, Strom, Heizkosten -
alles ist in den letzten Jahren massiv teurer geworden.

In der Politik setzen Akteur*innen nun ganz nach neoliberalem Ansatz auf den
Markt. Es werden Steuergeschenke versprochen und darauf gehofft, dass die
Unternehmen die durch Kostenschocks verursachte Preiserhöhungen zurücknehmen
oder dass Arbeitnehmer*innen im Zuge der gestiegenen Gewinne mehr Lohn erhalten.
Beides ist bisher nicht eingetreten. Die Reallöhne erholen sich nur langsam, die
Preise für Konsumgüter sind anders als die Inflationsrate nicht wieder gesunken
und viele Unternehmen haben 2023 und 2024 Rekordgewinne eingefahren. Der Markt
ist eben kein Allheilmittel und sicherlich nicht die Lösung gegen hohe
Lebenshaltungskosten. Marktfundamentalismus, wie er von neoliberalen
Politiker*innen immer noch praktiziert wird, muss hinterfragt werden, da er in
Krisenzeiten zu ineffizienten und sozial schädlichen Ergebnissen führt. Es
braucht eine Wirtschaftspolitik des Staates, die sich stärker für die Interessen
der großen Mehrheit einsetzt und dafür sorgt, dass die Reallöhne wieder stärker
ansteigen und die Verbraucherkosten stagnieren. Es braucht eine
Wirtschaftspolitik, die bei Kostenschocks schnell reagieren kann und sich traut,
eine konsumentenfreundliche Preispolitik zu gestalten.

Die GRÜNE JUGEND Sachsen setzt sich daher dafür ein, dass folgende Positionen
auf Bundesebene zur Beschlusslage werden:

1. Preiskontrollen für Grundnahrungsmittel und Energie

Der Staat hat die Verantwortung dafür zu tragen, dass es den Menschen gut geht,
besonders in Krisenzeiten. Deshalb muss der Staat auch eine Preispolitik
verfolgen, die sich, besonders bei Gütern des täglichen Bedarfs (z.B.
Lebensmittel, Wohnen, Heizen), für die Interessen der Menschen, statt für die
Interessen der Konzerne einsetzt. Bei Preisspitzen in der Wertschöpfungskette,
die zu starken sektorübergreifenden Preisanstiegen führen, soll der Staat die
Möglichkeit besitzen, die Preise gezielt festzulegen oder einzufrieren, um zu
verhindern, dass Konzerne spekulativ die Preise übertrieben anziehen und
gleichzeitig Rekordgewinne erzielen. So sollen unverhältnismäßig hohe
Preisanstiege verhindert werden, damit das Leben auch in Krisenzeiten bezahlbar
bleibt, die Macht von Konzernen über die Verbraucher*innen beschränkt wird und
keine Profite aus Krisen gemacht werden.

2. Besteuerung von Krisengewinnen

Wenn es zu einem Preisschock kommt, zum Beispiel wegen der kurzfristigen
Verknappung einer gehandelten Ware, ist die erste Reaktion von Konzernen häufig
diesen Preisschock direkt an die Verbraucher*innen weiterzugeben. Was jedoch
nicht weitergegeben wird: wenn die Produktionskosten für die Unternehmen nach
dem Preisschock wieder sinken. Was übrig bleibt: hohe Verbraucher*innenpreise
und damit höhere Gewinne für Unternehmen. Diese Übergewinne, die die
Verbraucher*innen mit enormen Preisen belasten, begrenzt der Staat nicht und
überlässt sie so ungeschützt der Gier. Dies lehnen wir ab. Der Staat sollte in
solchen Momenten aktiv werden und die Übergewinne der Unternehmen, die nur
krisenbedingt möglich sind, abschöpfen und an die Bevölkerung zurückgeben.

3. Investitionen in soziale Infrastruktur und Daseinsvorsorge

Die Mehreinnahmen, die durch das Abschöpfen von Übergewinnen und die konsequente
Verfolgung von Finanzkriminalität erzielt werden, sollten nicht durch
Steuergeschenke oder Investitionsprämien an Unternehmen zurück ausgeschüttet
werden. Stattdessen sollten sie gesellschaftlich umverteilt werden und allen
zugute kommen. Daher fordern wir, diese Mehreinnahmen in unsere soziale
Infratstruktur und öffentliche Daseinsvorsorge zu stecken, ob für besser
ausgestattete Krankenhäuser oder kostenfreier und zugänglicher ÖPNV. Die Liste
an Stellen wo das Geld besser aufgehoben wäre, als in den Taschen von Konzernen,
ist lang.

Unsere Wirtschaftspolitik muss sich an den Bedürfnissen der Menschen
orientieren, nicht an den Profitinteressen von Banken und Konzernen. Statt
Wohlstand durch Steuergeschenke weiter nach oben zu verteilen, muss sie jenen
zugutekommen, die mit ihrer Arbeit das Fundament unserer Gesellschaft schaffen.
Neben konkreten Maßnahmen braucht es daher auch einen grundsätzlichen Wandel in
der wirtschaftspolitischen Debatte: die deutsche Wirtschaftspolitik muss sich
endlich von der blinden Marktgläubigkeit lösen und darüber diskutieren, wie der
Staat in Krisenzeiten gezielt eingreifen kann – statt reflexartig
Steuergeschenke an Unternehmen zu verteilen.

Gerade jetzt braucht es eine entschlossene antifaschistische Wirtschaftspolitik,
die gegen Rechtsruck ökonomisch vorgeht!

Begründung

Eine entschlossene, antifaschistische Haltung bedeutet nicht nur, gegen rechte Ideologien zu kämpfen, sondern auch die Ursachen für ihre Verbreitung konsequent anzugehen. Dazu gehören, neben vielen weiteren, auch ökonomische Ursachen. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Isabella M. Weber hat hierfür den Begriff der antifaschistischen Wirtschaftspolitik geprägt, die gezielt gegen soziale Unsicherheit, wachsende Ungleichheit und den Kontrollverlust weiter Teile der Bevölkerung vorgeht – zentrale Faktoren, die rechtspopulistische Bewegungen begünstigen.

Die historische und aktuelle Forschung zeigt, dass ökonomische Krisen – insbesondere Inflation, soziale Ungleichheit und wirtschaftliche Unsicherheit – Wähler*innen in die Arme rechtsextremer Parteien treiben [1]. Insbesondere steigende Preise für Grundbedarfe, wie Lebensmittel, Wohnen und Energie führen in der Bevölkerung zu einem Gefühl des Konrollverlust, das von rechtspopulistischen Parteien durch einfache Feindbilder politisch ausschlachtet wird. Aktuell befindet sich Deutschland auf einem Höchststand der Einkommensarmut. Etwa 11% der Bevölkerung in Deutschland lebt in strenger Armut [2]. Überdurchschnittlich oft von Armut betroffen sind Arbeitslose, Minijobber*innen, Ostdeutsche, Frauen, Alleinerziehende, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, Singles und Menschen, deren Schulabschluss maximal einem Hauptschulabschluss entspricht. Außerdem haben etwa 13% der Mieter*innen in Deutschland nach Abzug der Miete weniger als das Existenzminimum zum Leben [3]. Und mehr als ein Drittel der Mieter*innen in Deutschland gaben 2018 an, dass sie mehr als 30% ihres Einkommens für ihre Miete aufwenden [4]. Diese zahlen dürften mittlerweile noch einmal deutlich angestiegen sein.

Ein zentrales Problem der bisherigen Wirtschaftspolitik liegt in einer übermäßigen Marktgläubigkeit. Anstatt entschlossen zu handeln, haben viele Regierungen und Banken in der Inflation vor allem auf Zinserhöhungen, Steuergeschenke und den freien Markt gesetzt, was letztlich die ärmeren Bevölkerungsschichten am stärksten belastet hat. Während große Konzerne Krisengewinne einstreichen konnten, wurde die Bevölkerung mit steigenden Lebenshaltungskosten und stagnierenden Löhnen weitestgehend allein gelassen. Diese Politik hat zu einer wachsenden Entfremdung von der etablierten Politik geführt und das Vertrauen in demokratische Institutionen ausgehöhlt.

Deshalb braucht es eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, die gezielt eingreift, um die Interessen der unteren Klassen zu vertreten, statt sich auf angebliche Selbstregulierungskräfte des Marktes zu verlassen. Preisstops, Übergewinnsteuer und soziale Absicherung sind antifaschistische Instrumente einer Wirtschaftspolitik, die sich nicht nur mit abstrakten makroökonomischen Indikatoren befasst, sondern gezielt Maßnahmen ergreift, um die existenziellen Probleme der Bevölkerung zu lindern. Wir dürfen nicht vergessen: in Deutschland müsste niemand finanzielle Nöte haben. Aktuell befindet sich 90% des „Volksvermögens“ in den Händen der obersten 20%. Würde man das gleich auf alle Menschen in Deutschland verteilen hätte jede*r 222.000€ [5].

Diese Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik soll den Staat handlungsfähiger machen, besonders seine Eingriffsbefugnisse bei der Preisgestaltung. Besonders am Beispiel der Inflation, die durch die explosionsartig gestiegenen Gaspreise 2022 stark intensiviert wurde, lässt sich gut erläutern, warum es Preiskontrollen und einem handlungsfähigerem Staat bedarf. Mit Ausbruch des Angriffskriegs in der Ukraine sind die Endkundenpreise für Strom und Gas sowohl für Industrie, als auch Verbraucher*innen, stark in die Höhe geschossen [6]. In Folge dessen ist eine regelrechte Kettenreaktion an Preisehöhungen über alle Sektoren losgetreten. Man spricht von einer "Verkäuferinflation", weil sie vor allem von Unternehmen, den Verkäufer*innen, geschürt wurde. Und diese profitierten ungemein, denn obwohl kurzfristig für sie die Produktionskosten rapide anstiegen, haben sie, sobald die Produktionskosten wieder sanken, nicht etwa die Preise gesenkt oder ihren Arbeiter*innen höhere Löhne bezahlt, sondern stattdessen schlichtweg ihre Gewinnmargen vergrößert [7]. Diese dauerhaften Preiserhöhungen treffen vor allem geringe und mittlere Einkommen, die sofort die Preiserhöhungen spüren und kaum Möglichkeit haben der Inflation zu entrinnen, etwa weil sie im Supermarkt bereits immer das günstigste Produkt kaufen.

Solche Geschehnisse sind vermeidbar mit klug eingesetzten Preisdeckeln und Preiskontrollen. Erste Ansätze dessen hat die Bundesregierung auch schon gezeigt: die Gaspreisbremse. Sie hat dafür gesorgt, dass die Inflation nicht noch weiter gallopiert ist. Jetzt geht es daran solche Preisbremsen mehrheitsfähig im ökonomischen Diskurs zu machen, damit nicht immer erst mitten in der Krise gestritten, sondern schon bei einer anbahnenden Preisinflation durch Unternehmen eingegriffen werden kann und Verbraucher*innen so besser geschützt werden.

Falls ihr Interesse an dem Thema habt und euch weiter einlesen wollt empfehlen wir diese drei kostenlose Artikel: https://jacobin.de/artikel/isabella-weber-preiskontrollen-inflation-trump-biden-antifaschistische-wirtschaftspolitik und https://www.rosalux.de/news/id/53043/wer-profitiert-von-der-lebensmittel-inflation#:~:text=Unternehmen%20erh%C3%B6hten%20ihre%20Preise%20mehr,Verk%C3%A4u-ferinflation%20(sellers%D5%9A%20inflation). und https://www.rosalux.de/news/id/53024/preiskontrollen-gegen-die-inflation (leider alle bisschen Akademiker*innendeutsch - tut uns leid :/)

[1] vgl. Decker, Oliver/Johannes Kiess/Ayline Heller/Elmar Brähler: Vereint im Ressentiment: Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen, in: Forschung Psychosozial, 2024, https://www.boell.de/sites/default/files/2024-11/leipziger-autoritarismus-studie-2024-vereint-im-ressentiment-autoritaere-dynamiken-und-rechtsextreme-einstellungen.pdf.

[2] vgl. Soziale Ungleichheit in Deutschland: in: Hans-Böckler-Stiftung, 02.11.2023, https://www.boeckler.de/de/auf-einen-blick-17945-20845.htm#A1.

[3] vgl. Mehr als zwei Millionen Mieter in prekärer Lage: in: Hans-Böckler-Stiftung, o. D., Abgerufen am 12.03.2025 https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-mehr-als-zwei-millionen-mieter-in-prekarer-lage-35350.htm.

[4] vgl. Arm und ausgeschlossen: in: Hans-Böckler-Stiftung, o. D., https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-arm-und-ausgeschlossen-44865.htm.

[5] vgl. Swr: Arm und Reich: So gefährlich ist die Ungleichheit in Deutschland, in: SWR1, 28.05.2024, https://www.swr.de/swr1/swr1leute/jens-berger-findet-vermoegensungleichheit-gefaehrlich-100.html.

[6] vgl. GRÜNE JUGEND Sachsen: Gerechtigkeit jetzt: Für ein Land, das niemanden zurücklässt! - JUNGE GRÜNE Politik in Sachsen, 05.12.2024, https://gj-sachsen.de/aktuelles/2024/10/27/gerechtigkeit-jetzt-fuer-ein-land-das-niemanden-zuruecklaesst/.

[6]vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/168528/umfrage/gaspreise-fuer-gewerbe-und-industriekunden-seit-2006/

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1459097/umfrage/gaspreis-privathaushalte-deutschland-taeglich/

[7]vgl. https://www.rosalux.de/news/id/53043/wer-profitiert-von-der-lebensmittel-inflation#:~:text=Unternehmen%20erh%C3%B6hten%20ihre%20Preise%20meh-r,Verk%C3%A4uferinflation%20(sellers%D5%9A%20inflation).

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